dilluns, 1 de juliol del 2013

Separatismus Europas rebellische Regionen

 ·  Südtiroler, Schotten, Bayern und Katalanen: Sie alle wollen raus aus ihren Nationen. An der Spitze der Sezession stehen zornige Männer - und kämpferische Frauen. Ein Reisebericht.





© Getty Images
Dass auf dem Weg zum Europäischen Einheitsstaat irgendetwas schiefgelaufen ist, haben wir geahnt. Doch als der Vizepräsident des EU-Parlaments, ein Spanier namens Alejo-Vidal Quadras, damit droht, in den Straßen von Barcelona das Kriegsrecht zu verhängen, dämmert uns: Eine Reise zu Europas neuen Separatisten könnte aufregend werden. Bozen, Barcelona, Bayern, Glasgow - die einen liebäugeln noch mit Unabhängigkeit, bei den anderen steht der Termin für die Abstimmung über den Austritt schon fest. Kleinstaaterei mitten in Europa, das hat es länger nicht mehr gegeben.
Es heißt ja immer, Europa brauche eine große Erzählung, ein neues „Narrativ“. Aber vielleicht geht das gar nicht mehr, das große pathetische Epos in einem Kontinent, wo es allerorten hörbar knirscht, rappelt und ruckelt. Vielleicht ist ein „episodisches Erzählen“ (Albrecht Koschorke) dem zerrissenen Kontinent angemessener: eine Fahrt nach Bayern, eine Stippvisite in Schottland, ein längerer Besuch in Südtirol und in Katalonien. Da ist der Reporter in seinem Element - und die Sezessionisten können erzählen.

„Wir sind nicht verrückt“

“Let’s talk“, schreibt der schottische Freiheitskämpfer Colin aus Glasgow und lädt uns ein, seine Heimat zu besuchen. „Keineswegs sind wir verrückt geworden“, empört sich der Bekannte aus Bozen, Psychiater von Beruf, und fordert uns ebenfalls auf zu kommen. „Katalonien bebt, das Referendum ist nicht mehr aufzuhalten“, ruft Jordi, der alte Freund aus Barcelona, in den Hörer: „Komm halt vorbei!“
Und Bayern? Kurzer Anruf bei der Hanns-Seidel-Stiftung: Jeder vierte Bayer, teilt eine freundliche Dame mit, finde die Vorstellung eines souveränen bayerischen Staats mit einem bayerischen Außenminister und einer Bayern-Armee ganz wunderbar. So viele waren es anfangs auch bei den Katalanen und Schotten. Dann kam die Krise und brachte Arbeitslosigkeit und Bankenpleiten. Mittlerweile findet die breite Masse, die Milliarden Steuereinnahmen aus Hotels, Fabriken und Ölfeldern sollten lieber in der Region verbleiben.

Bayern

Eine Erzählepisode, die in Deutschland beginnt, braucht einen König. Und ein Schloss. Wer hoch nach Neuschwanstein will, muss sich unten für Bus oder Pferdekutsche anstellen. Und warten. Es ist knallvoll in Schwangau, es ist heiß. Wäre man selbst Bayer, es könnte einen die Wut packen auf diesen König, der sich den Palast so wenig leisten konnte wie den restlichen Immobilienbesitz. Die hohen Schulden waren nicht der einzige Grund, dass Ludwig II. 1870 den „Kaiserbrief“ unterschrieb, der das Ende des freien Bayerns und den Anschluss ans Preußenreich besiegelte. Aber das bayerisch-nationale Trauma vom Verlust der Unabhängigkeit nahm mit Neuschwanstein seinen Lauf.
Nachfrage beim Dichter und Denker Wilfried Scharnagl, einst Intimus von Franz Josef Strauß und Chefredakteur des „Bayernkuriers“: „Befinde mich in der ehemaligen Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation“, schnarrt Scharnagl, also Berlin. Überhaupt ist er viel unterwegs, drei Monate vor der bayerischen Landtagswahl. Scharnagl hat ein Büchlein geschrieben: „Bayern kann es auch allein. Plädoyer für einen eigenen Staat.“ Von Großreichen hält der Bayer wenig, dass sich Bayern einem angeschlossen hat, sei ein historischer Irrtum, so wie der Euro, eine Idee seines Parteifreunds Theo Waigel. Die ganze Welt wäre mit einem eigenständigen Bayern besser dran gewesen, sagt Scharnagl und verweist auf zwei Weltkriege. „Nun haben wir Bayern nichts mehr zu melden.“ Was in seinen Augen einen klaren Widerspruch zur wirtschaftlichen Dominanz darstellt.
Das Schloss ist erreicht, der Blick über die Baumwipfel des Freistaats herrlich. Scharnagl tourt gerade an der Seite Peter Gauweilers durch Bayern: „Bayern zuerst.“ Die Leute rennen den Show-Separatisten die Bierzelte ein. „Kein Wunder, bei dem, was gerade in Europa passiert“, sagt Scharnagl. Besonders von den Katalanen ist er angetan, wo sich das politische Spektrum von links nach rechts einig ist: Los von Madrid! Vor der Landtagswahl wird Scharnagl nicht mehr die Unabhängigkeit Bayerns ausrufen und danach wohl auch nicht. Aber den Länderfinanzausgleich würde er gern beerdigt sehen und die Brüsseler Euro-Retterei gleich mit. „Das machen wir Bayern nicht mehr lange mit.“ Der Bayer verabschiedet sich. Und der Reporter vom Freistaat.

Südtirol

Im Zug die erste Notiz an der Brennergrenze zu Italien: Der Schmäh österreichischer Bundesbahn-Kellner ist eindeutig nicht europakonform. Und jeder italienische Grenzpolizist sieht aus wie ein General. Freundlich grüßend trippeln die Träger dieser prachtvollen blau-roten Uniformen durchs Abteil. Die Deutschsprachigen, die zwei Drittel der Bevölkerung Südtirols stellen, haben es ja weniger mit Grandezza. Weswegen es angeblich auch kaum zu Eheschließungen zwischen deutschsprachigen Männern und italienischsprachigen Frauen in Südtirol kommt. Zur umgekehrten Konstellation hingegen wohl.
Der Zug steht immer noch am „Brennero“. Zeit, im „Europäischen Landboten“ des österreichischen Schriftstellers und Europa-Fans Robert Menasse zu lesen. „Die Verteidiger und Schönmaler des Nationalen, die zum ersten Mal seit hundert Jahren wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, produzieren diese Krise“, schreibt er. „Je mehr sie sich mit ihren Mitteln gegen sie wehren, desto mehr verschärfen sie sie.“ Das „Europa der Nationalstaaten“ will er „überwinden“. Am Ende eine Überraschung. Nicht Brüssel soll uns regieren. Europa-Fan Menasse träumt von einem Europa der Regionen.
Das hören die Südtiroler gerne. Es ist ja die Angst vor der italienischen Nation, die sie auf die Straße treibt. BBC, „Chicago Tribune“, Russia Today - auf der ganzen Welt wurde schon über den wiedergekehrten Separatismus im „Alto Adige“ berichtet. Dort ist das Pro-Kopf-Einkommen das höchste Italiens. Und die wohlhabenden Südtiroler Bauern, die wenig Steuern zahlen, haben nun Angst, dass sie bald die Raten ihrer silberfarbenen Audi-Limousinen nicht mehr bezahlen können, wenn die Schuldenberge Italiens das prosperierende Südtirol mit in den Abgrund reißen. Hier am Brenner, fürchten sie, könnte in nicht allzu ferner Zukunft die Euro-Grenze verlaufen. Schließlich ist laut Umfragen schon jetzt jeder fünfte Italiener überzeugt, ohne die EU wäre Italien stärker. Vor allem die Anhänger Beppe Grillos und Silvio Berlusconis wollen die Lira wiederhaben.
Ankunft in Bozen. Was für eine schöne Stadt! Sofern man auf der richtigen Seite ist. Der Flusslauf der Talfer trennt die Altstadt, wo die Deutschen in gotischer Architektur wohnen, von den neoklassizistischen Bauten der Neustadt im Stil des Römischen Reichs. In einem Gewaltakt haben die italienischen Machthaber der ersten Jahrhunderthälfte hier Römer, Sizilianer, Neapolitaner angesiedelt. Die Region war eben immer Kriegsbeute.
Kleiner Streifgang durch die Straßen. Das Siegesdenkmal, das Mussolini in den zwanziger Jahren bauen ließ, markiert den Beginn der Neustadt und für seine Erbauer zudem den Beginn der Zivilisation. „Sprache, Gesetze und Künste“ brachten die Italiener laut lateinischer Inschrift den Tirolern. Das Denkmal ist abgesperrt und videoüberwacht, damit es nachts kein Südtiroler in die Luft jagt. Vor fünf Jahren ordnete Berlusconis Verteidigungsminister an, dass unter dem Klotz wieder Gedenkkränze der italienischen Regierung abgelegt werden sollen. Die einstige Routineprovokation hatte es seit eineinhalb Dekaden in Bozen nicht mehr gegeben.
Dass eine radikale römische Regierung den Südtirolern ihre weltbeste Autonomie beschneidet, ist hier Dauersorge. Eigentlich kommen sie gut aus, die Kulturen, die sich am Handelsplatz Bozen schon immer vielfältig tummelten. Und dass in ihren Pässen als Herkunftsland Italien steht, haben sich die Südtiroler teuer bezahlen lassen seit dem Autonomiestatut von 1972. Die Südtiroler Abgeordneten im römischen Parlament sind oft das Zünglein an der Waage. Und stimmen dem Haushalt nur dann zu, wenn wieder mal neue Hoheitsrechte an die Südtiroler Landesverwaltung wandern. Für die Landesstraßen etwa oder die Bahnhöfe. Außer Armee, Außenpolitik, Steuerhoheit und Polizei liegt mittlerweile ziemlich viel Exekutivgewalt in den Händen der Südtiroler, 90 Prozent der Steuern müssen ohnehin zurück ins Land fließen.

Wirtschaftlich-historischer Sezessionismus

Am Gerichtsplatz prangt ein interessantes Relief. Es zeigt den Duce hoch zu Ross. In Südtirol zeigt sich ja die Geschichte des 20. Jahrhunderts wie unter dem Brennglas. Es ist alles da: die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg mit ihren Auswirkungen, die ethnische Flurbereinigung der „Option“ von 1939, als sich 86 Prozent der Südtiroler entschieden, ihre Heimat zu verlassen, um „Reichsdeutsche“ zu werden. Das Ende des Zweiten Weltkriegs, nach dem die Brennergrenze blieb. Die Enttäuschung, dass es mit der von Italien versprochenen Autonomie nicht weit her war.
Südtirols neuer Sezessionismus hat wirtschaftliche Gründe und ist doch von der Geschichte der Region nicht zu trennen. Neben dem Tourismus war Südtirols große wirtschaftliche Stärke die Energiegewinnung aus Stauseen, weshalb 1961 in Mailand auch mal die Lichter ausgingen. Im herrlich sommerfrischen Meran, 30 Autominuten von Bozen entfernt, erzählt Eva Klotz, Jahrgang 1951, von der Reise zu ihrem Vater. In Meran ist heute „Unabhängigkeitstag“, großes europäisches Separatistentreffen mit der Südtiroler Band „Volxrock“ und „Los von Rom“-Sprechchören.
Aber erst hören wir die Geschichte von Georg Klotz. Im Oktober 2001 machte sich die Tochter auf in die Stubaier Gletscherwelt, stieg zur Windach-Scharte auf 2844 Meter, von wo man zur nächstgelegenen Schutzhütte auf Nordtiroler Seite gelangt. Dorthin hatte sich Vater Georg einst mit letzter Kraft vor den italienischen Polizisten gerettet, nach zweiundvierzigstündigem Marsch und Steckschuss in der Brust. In der „Feuernacht“ auf den 12. Juni 1961 hatten Klotz und Gesinnungsgenossen 38 Strommasten in die Luft gebombt. „So hat sich die Mutter in den Türrahmen gestellt“, ruft Eva Klotz, Jahrgang 1951, und zeigt mit ausgebreiteten Armen, wie sich die Mutter positioniert hat, damit der Polizist nicht merkte, wie der Vater floh. In Italien ist Klotz ein Terrorist. Für die Tochter ein Freiheitskämpfer.
Nun gärt es wieder in Südtirol. „Kein Wunder bei der Arbeitslosenquote“, ruft Eva Klotz. Die liegt nur bei 4,5 Prozent. In Gesamtitalien ist sie dreimal so hoch. Aber vor ein paar Jahren gab es in Südtirol eben gar keine Arbeitslosen. Alles ist relativ. Seit den siebziger Jahren ist viel Geld von Rom nach Südtirol geflossen, die Regierungspartei SVP hat es nach Gutdünken verteilt. Wobei vor allem die Deutschsprachigen gut wegkamen. Der Bozener Psychiater Mario Lanczik erzählt von jener leicht unwohligen Grundstimmung der Italiener im Land, die in Südtirol wieder weniger werden, weil die Stellen im aufgeblähten öffentlichen Dienst nach dem Proporzprinzip vor allem an Deutschsprachige gehen. Italiener wandern ab.

Südtiroler Filz

Was bleibt, sind die Folgen der italienischen Schuldenkrise, die die Wirtschaft der Nation in diesem Jahr um bis zu zwei Prozent schrumpfen lassen wird. Dass Ex-Italien-Premier Mario Monti gefordert hat, Südtirol solle sich mit über hundert Millionen Euro an der Sanierung des italienischen Staatshaushalts beteiligen, wofür die Steuern auf Immobilien, Konsumgüter, Einkommen sowie die Abgaben der Bauern steigen sollten, haben die Südtiroler ihm bis heute nicht verziehen.
“Was ist solch eine Autonomie noch wert?“, ruft Eva Klotz. „Italien zieht uns runter“, rufen die Lederhosen-Twens vor der Festbühne. Sechzig Fanclubs des FC Bayern gibt es im Land, samstags fährt Busladung auf Busladung nach München. Südtirols Alt-Separatisten wie Eva Klotz haben ihr halbes Leben für die Unabhängigkeit gekämpft. Nun politisiert die Krise die Jugend, was auch ein Problem für die Regierungspartei SVP ist, die von einem Filzskandal in den nächsten stolpert.
Ende Oktober ist Landtagswahl, die Separatisten sind im Aufwind. Sie lassen sich jetzt coachen, lassen Gutachten erstellen über die Frage, ob ein neuer Südtiroler Staat sofort aus EU und Euro austreten müsste. Das ist die größte Sorge der Unternehmer. Rat kommt von Anna Arqué, die sich mit denselben Fragen herumschlägt, eine schöne Separatistin aus Barcelona. Zum Unabhängigkeitstag ist sie eingeflogen und peitscht die Menge auf.

Internationaler Separatismus

Was in Meran auffällt: Separatisten können sehr unterschiedliche Menschen sein. Sie solle ihre katalanische Tracht anziehen, hat Eva Klotz Kollegin Anna aufgefordert. Doch so etwas besitzt sie nicht. Ende dreißig ist die Katalanin und seit vier Jahren mit Ausnahme von zwei freien Wochenenden im Dauereinsatz für die Loslösung von Madrid. Sie besaß eine Unternehmensberatung in London. Jetzt lebt sie von den Ersparnissen. Sie spricht schnell. Und lädt nach Barcelona ein.
Abschied von Bozen. Kann es etwas Schöneres geben als bei strahlender Sonntagmorgensonne am Walther-Platz zu sitzen? Ein österreichischer Soziologe namens Manfred Prisching nennt in der „Presse“ den seiner Ansicht nach zwingenden Weg Europas: „Die Staaten werden aufgelöst. Sie werden weiterbestehen als Landschaft, als Gefühl, als Kultur, als Folklore, als Geschichte - aber nicht als Staat. Es wird weiterhin eine Art Regierung und Parlament geben, aber ohne entscheidende Kompetenzen.“ Nur „verstehen das die Bevölkerungen fatalerweise nicht“.
Deutsche im Ausland nennen sich ja tatsächlich immer noch nicht Europäer. Wie nennen sich die Südtiroler? „Tirolerin“, hat Eva Klotz in Meran geantwortet. Einen Stand weiter verteilte die Abgeordnete Ulli Mair die Handzettel der „Freiheitlichen“, Separatismuspartei mit Ziel eines völlig eigenständigen Staats. „Ich bin Deutsche“, hat Mair gesagt. Von der „Südtiroler Freiheit“ muss sie sich manchmal Sprüche über ihren Patriotismus anhören. Mair ist mit einem Italiener liiert.

Katalonien

Der niederländische Schriftsteller Geert Mak ist mal ein ganzes Jahr durch Europa gereist auf der Suche nach der europäischen Befindlichkeit: wie die Vergangenheit unsere Gegenwart prägt, wie sie uns verbindet und trennt. Das Erste, was Mak in Katalonien einfiel, war die Feststellung, Barcelona sei „eine schlampige Frau mit wundervollen Augen“. Die Stadt, schreibt Mak, habe ein gestörtes Verhältnis zu sich selbst: schöne Bauwerke und furchtbar hässliche Viertel, alles in katalanischer Sprache. Was auffalle: die Abwesenheit Spaniens.
Das stimmt. Anna Arqué hasst einfach alles, was mit Spanien zu tun hat. „Wir haben nichts zu tun mit diesen Leuten“, sagt sie und winkt ein Taxi herbei. Jeder demokratische Staat hat ja ein Legitimitätsproblem, wenn auf einem Teil seines Gebietes eine entschlossene Unabhängigkeitsbewegung aktiv ist, und das Problem des spanischen Staats heißt Anna. Ohne irgendeiner Partei anzugehören, hat sie die demonstrierenden Massen auf die Straße gebracht, inklusive ihrer Mutter.
2009 ging es mit Märschen im Land und Demonstrationen in Brüssel los, zwei Jahre später sprachen sich über eine Million Katalanen bei einem inoffiziellen Referendum dafür aus, Katalonien solle über die Loslösung von Spanien abstimmen. Die meisten hatten vorher nie einer politischen Bewegung angehört. Vergangenen Februar stimmte das katalanische Parlament für das Referendum, das die spanische Verfassung verbietet: 2014 soll es kommen.

Harte Männer, depressive Ehefrauen

Wenn ein Land ein Problem mit einer aktiven Unabhängigkeitsbewegung hat, wird jede kluge Regierung versuchen, diese durch Verhandlungen aus der Welt zu räumen. Die spanische nicht. Alejo Vidal Quadras, der das Kriegsrecht verhängen wollte, hat jüngst mit der Guardia Civil gedroht, der paramilitärischen ehemaligen Franco-Polizei. Sollten die Katalanen wirklich Wahlurnen aufstellen, werde die Guardia Civil diese beschlagnahmen. Der Ton ist rau geworden in Spanien. Hier ist der Prozess der Bildung einer Nation nie vollendet worden. Madrid ist Madrid, und Katalonien ist Katalonien. Die Haltung der spanischen Regierung, schreibt Mak, erinnere an die Reaktion von Männern, die bei Beziehungsproblemen ihren weinenden und depressiven Ehefrauen entgegenhalten: Es ist doch alles in Ordnung, Schatz. Worüber regst du dich so auf? Wir führen doch eine ganz wunderbare Beziehung!
Auf der Suche nach den Separatisten lernt der Reporter tatsächlich vor allem starke Frauen kennen. Mütter der Nation eben. Der Präsident der größten Universität Barcelonas, der Audienz gewährt, ist zwar ein Mann, aber nicht wirklich ein Freiheitskämpfer. Unter riesigen Ölgemälden mit mittelalterlichem Personal sitzt er und spricht über sein Erweckungserlebnis: „Ich schrieb einen Aufsatz über kollektive Identität und habe mich gefragt: Gibt es die?“ Da wurde er zum Separatisten. Seine Untergebene, die Dekanin des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts, ist für Sachargumente zuständig.

Träume von Prosperität

Elisenda Paluzie hat sich eine halbe Stunde freigeschaufelt, wir werfen uns Zahlen an den Kopf. Katalonien hat mehr Menschen als Belgien oder Dänemark, rechnet die Dekanin vor; in Europa käme ein souveränes Katalonien an neunter Stelle; wenn die Steuer nicht mehr an Madrid abgeführt werden müsste, brächte das dem Haushalt einen Nettozufluss von 13 Milliarden Euro. Im Jahr! Und was ist mit dem Berg spanischer Staatsschulden, davon müsste sich Katalonien doch auf der anderen Seite einen Teil aufladen? Ja, sagt die Dekanin: „Genauso wie einen Teil der spanischen Goldreserven.“
Die dürften zwar sehr viel weniger wert sein, aber dieser Einwand wirft die Ökonomin nicht um. Genauso wie die Frage nach einem möglichen Boykott katalanischer Waren. „Ja, in den ersten Jahren würden die Spanier unseren Cava stehenlassen und Champagner trinken.“ Aber so einen Boykott habe es schon einmal gegeben, und in dieser Zeit sei das Export-Verhältnis gekippt: Jetzt verkaufen die Fabriken mehr Cava ins außerspanische Ausland.

Die anderen sind an Spanien schuld

Wenn Katalanen über Spanier sprechen, klingt da immer etwas Merkwürdiges mit: Fleißige auf der einen Seite, Faule auf der anderen. „Die Katalanen blickten auf die Andalusier herab, als wären diese Halbschwarze“, schrieb George Orwell in seinem Bürgerkriegs-Epos „Mein Katalonien“. Rassismus weisen die Katalanen weit von sich. Sie verweisen auf Argumente.
Anna erzählt die Geschichte vom spanischen Zugstreckennetz. Eine geplante Güterwaggonstrecke solle nicht am Mittelmeer entlangführen wie es sinnvoll wäre, sondern quer durch die spanische Provinz, nur weil die Madrider Politiker den Katalanen wieder mal eins auswischen wollten, so sieht sie das. Gegen teure Bahnstrecken demonstrieren auch die Arbeitslosen in Spaniens Süden. Im Taxi bringt der Reporter das andalusische Reichendorf Sotogrande ins Gespräch, wo sich hinter Schranken Pools und Palmen reihen, und vor den Schranken türmt sich der Müll. Das schockt Anna Arqué gar nicht. „In Andalusien haben die Kinder kostenlose Schulbücher“, sagt sie und kneift die Augen zu Schlitzen zusammen.

Solidarität mit allen außer Spanien

Ach, es tut gut, abends mit Jordi in einer Kneipe im Arbeiterviertel Sants zu sitzen. Es gibt Separatistenbier, auf dem Etikett prangt das rot-gelbe Wappen Kataloniens mit dem blau-weißen Stern der Unabhängigkeitsbewegung. Es tut auch gut, wenn man einem Freund seine Fragen stellen kann: Ist dieses „Los von Madrid“ nicht sehr egoistisch von den Katalanen? Ohne Katalonien stürzt Spanien ab. Jordi war schon immer links. Er demonstriert gegen alles. Tritt gerade einer Genossenschaft bei, die sich mit grünem Strom versorgt. Und glaubt an die internationale Solidarität. Nur mit Spanien nicht.
Jordi sagt, jede Woche höre er von einem, der seine Stelle verloren hat. Der Anteil der Wirtschaftsleistung, den Katalonien an die Zentralregierung abführt, ist viel höher als der Bayerns im deutschen Länderfinanzausgleich. „Solidarität hat ihre Grenzen“, sagt ein anderer Linker am Separatistentisch. Für die Katalanen ist diese Krise eine des Nationalstaats. Der in weiten Teilen Ödland ist. Ein souveränes Katalonien wäre die Chance, da rauszukommen.
Das katalanische Parlament liegt in einem riesigen, wunderschönen Park. Wie eine grüne Lunge saugt er den Dreck der Innenstadt auf. Der Palast war mal das Waffenarsenal der Festung von Bourbonen-König Philip V., Ende des 18. Jahrhunderts gebaut, um die besiegten Katalanen in Schach zu halten. Der Sitzungssaal im ersten Stock ist sehr schön. Neben Gehölz und Samt steht der Generalsekretär der katalanischen Regierungspartei CiC Josep Rull und berichtet, dass Franco den Saal einst zusperren ließ: um den Katalanen zu zeigen, dass sie ihn mal konnten.

„Bayern ist wie wir“

Man nimmt dem Politprofi Rull sein Pathos nicht ab, eben noch im Büro hat er sich gewunden bei der Aufforderung, hier und jetzt der deutschen Öffentlichkeit das Datum der katalanischen Unabhängigkeit zu nennen. „Spanien wird alles tun, um ein Referendum zu verhindern“, nuschelt der Generalsekretär. Die Angst vor den Madrilenen ist groß in diesem Palast der Volksvertreter, wir rauschen von einem Büro ins nächste quer durch das politische Spektrum, hinter jeder Tür eine sorgenvolle Miene: Was wird, wenn Madrid Truppen schickte? „Das würde die Europäische Union nicht zulassen“, sagt die Vizepräsidentin im sonnengefluteten Büro und guckt düster.
Vielleicht kommt es gar nicht so weit. Kataloniens Regierung werde unter dem Druck Madrids umkippen und statt eines Referendums dem Volk eine Parteienwahl offerieren, womit die Unabhängigkeit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wäre. Das glauben in diesem Gebäude viele. Und Anna Arqué, die starke, unerschrockene Anna, die eine Million Menschen mobilisiert und längst Fakten geschaffen hat, steht im Foyer und rauft sich die blonden Haare angesichts solchen Kleinmuts.
Abends: Palau de la Musica, wo ein katalanischer Literaturpreis vergeben wird. Verblüffenderweise an einen Soap-Opera-Autor. Aber Barcelonas Honoratioren sind da. Katalonien-Präsident Artur Mas, den Madrid am liebsten im Gefängnis sähe, begrüßt uns mit Küsschen. Im Foyer erzählt ein Sportfunktionär, wie er für ein katalanisches Fußball-Nationalteam kämpft. Dass Pep Guardiola nun Bayern-Trainer sei, sei logisch: „Bayern ist wie wir.“

Schottland

Sowohl die Wahlkampfzentrale der Gegner als auch die der Befürworter der Unabhängigkeit Schottlands steht in Glasgow. Der Grund ist nicht der Glamour. In Glasgow gibt es schöne Ecken (Universität) und eine Einkaufsmeile (Buchanan) mit Normalo-Läden, aber netter Architektur. Aber auch viele üble Gassen. Die Lebenserwartung in Glasgow ist mit am niedrigsten in ganz Europa.
Noch leben eine halbe Million Menschen in der City und zwei Millionen drum herum, insgesamt hat Schottland nur fünf Millionen. Wer Glasgow gewinnt, gewinnt das Referendum. Deshalb hat Colin Pyle, 32 Jahre jung und smart, geboren in Kirkcaldy bei Edinburgh wie Adam Smith, seinen Posten als Spindoctor an der Seite des Regierungschefs Alex Salmond verlassen und arbeitet in Glasgow an der „Yes! Campaign“. Yes zu einem eigenen Staat. Am 18. September 2014 wird abgestimmt. Derzeit sieht es mau aus. Die Umfragen zeigen eine Mehrheit für Nein. Am Dienstag setzte in einem Glasgower Wettbüro ein Schotte 200.000 Pfund auf Nein.

Wut anheizen

Bevor Colin Pyle ins Politikgeschäft eintrat, war er Banker. Er weiß: Stimmungen sind so volatil wie Kurse an der Börse. Das ist das Problem der Separatisten in Schottland, Katalonien, Südtirol: Die Wut auf die Mutternation muss am Kochen gehalten werden. „Wir haben noch 450 Tage“, sagt Pyle. Im November will sein Chef Salmond ein Weißbuch vorlegen, in dem steht, was für ein Schottland die Regierungspartei SNP will, nachdem die Bürger mit Yes gestimmt haben: Das Pfund soll bleiben. Die Queen als Staatsoberhaupt auch. Mit Großbritannien will man kooperieren. Die künftigen Erträge aus dem Öl sollen in Schottland bleiben.
Pyles Widerpart auf der „No! Campaign“-Seite, die von der britischen Regierung bezahlt wird, ist Alistair Darling, Schotte und bis vor drei Jahren britischer Finanzminister in der Labour-Regierung. Darling ist ein Schwergewicht. Geld ist bei seinem Schlachtzug kein Problem. Darling hat die Washingtoner Medienberatungsfirma Blue State Digital engagiert, die Frankreichs Präsident François Hollande und zweimal Amerikas Präsident Barack Obama den Sieg sicherte. Als Darling der Presse das erste Mal die Kampagne vorstellte, sagte er, in einem unabhängigen Schottland könnten es die Schotten vergessen, dass Großbritannien nochmal die Royal Bank of Scotland vor der Pleite rette wie nach der Finanzkrise, als der britische Staat mit 45 Milliarden Pfund aushalf.
Als Schottlands Ministerpräsident im Frühjahr seinen Fahrplan für die Unabhängigkeit vorstellte, wonach zwischen dem Referendum und der Unabhängigkeitserklärung gerade mal fünfzehn Monate vergehen sollen, bestellte Alistair Darling die Presse ein und präsentierte eine Tabelle mit der Dauer der Beitrittsverhandlungen sämtlicher EU-Neumitglieder seit den neunziger Jahren. Die Zeitungen titelten, dass Schottland neun Jahre warten müsse, bis es wieder Teil der Europäischen Union und ihrem Binnenmarkt sei. Jüngst trat Bill Clinton vor schottischen Geschäftsleuten auf und warnte vor Schmutzkampagnen, die das Land zerreißen könnte. Zwei Tage später kam ans Licht, dass die „No!“-Kampagne sich intern einen Arbeitstitel verpasst hatte: „Projekt Angst“.
Wenn man auf einer Europakarte mit rotem Stift eine Linie zwischen allen Ländern und Parteien ziehe, die Kriege geführt hätten, sei da nur noch Rot, schreibt der Dichter Robert Menasse. „Regionen führen keine Kriege, um ihr Gebiet zu vergrößern.“ Das ist doch mal ein gutes Schlusswort für diese Erzählung über Europa.